Rudis Geschichte

Brutaler Adoptivvater

Ich bin Rudi. Ich bin 40 Jahre alt und wurde mit 3 Jahren adoptiert.
Schon als Kind war ich ein Außenseiter. Ich wuchs in einem Dorf auf, wo anscheinend alle wussten, dass ich ein Adoptivkind war, nur ich nicht. Als ich ungefähr 12 Jahre alt war, erfuhr ich die Wahrheit. (Nachdem die Gerüchte, dass ich auf der Strasse gefunden worden wäre, auch von mir wahrgenommen wurden.)

Meine leiblichen Eltern kenne ich nicht. Mein Adoptivvater hat aber einige Andeutungen darüber gemacht. Meine leibliche Mutter wäre eine Hure gewesen, mein Vater ein Verbrecher, der im Gefängnis säße. Außerdem bevorzugte mein Adoptivvater noch andere unbequeme Erziehungsmaßnahmen - z.B. quittierte er kindliche Reaktionen, die er nicht verstand, meistens mit Prügeln.

Ich hatte keine schöne Kindheit. Voller Angst vor dem Alleinsein und vor dem autoritären Vater, voller Minderwertigkeitsgefühlen und einem unbestimmten Gefühl des Andersseins. Mein einziger Halt waren meine sehr liebevolle Adoptivmutter und meine leibliche Schwester, die zusammen mit mir adoptiert worden war.

Als wir (meine leibliche Schwester und ich) in die Pupertät kamen, verschärfte sich der Konflikt zwischen Adoptivvater und -kindern. Meine Adoptivmutter hatte einen Herzklappenfehler, der einen relativ frühen Schlaganfall bei ihr verursachte. Sie verbrachte fast zwei Jahre in verschiedenen Krankenhäusern und kam als Pflegefall wieder nach Hause. Ich war damals 14 Jahre alt, meine Schwester 13.

Nach dem Schlaganfall waren wir vollständig der Willkür unseres Adoptivvaters ausgeliefert. Brutale Schläge waren an der Tagesordnung. Des öfteren mussten wir uns anhören, dass wir als "schwer erziehbare" Kinder wieder ins "Heim" sollten.

Schließlich wandte sich unser Adoptivvater ans Jugendamt. Für diesen Schritt bin ich ihm bis heute noch dankbar. Die "Frau vom Jugendamt" erkannte sehr schnell das eigentliche Problem, nämlich den prügelnden Vater, und leitete ein Verfahren wegen Sorgerechtsmissbrauch ein. Was mir im nachhinein für meine Adoptivmutter sehr leid tut, da sie sich wirklich immer liebend um uns gekümmert hatte. Aber das war ihr wegen der Persönlichkeitsveränderungen und den körperlichen Einschränkungen nach dem Schlaganfall leider nicht mehr möglich.

Es folgte eine Zeit, die mit Anhörungen, Gerichtsverhandlungen und Demütigungen einherging. Wir waren inzwischen (sozusagen "prophylaktisch") zu Pflegeeltern gekommen, und für eine kurze Zeit schien es so, als müssten wir wieder zu unserem Adoptivvater zurückkehren. In einer Entscheidung des Berufungsgerichts wurde der Sorgerechtsentzug dann endlich rechtskräftig.

Das war nur der Anfang meiner "Odyssee". Einer Irrfahrt im Meer des Selbstverständnisses. Bis heute habe ich noch große Schwierigkeiten, einen Sinn in meinem Leben zu sehen, geschweige denn Anstrengungen zu unternehmen, nach meinen richtigen Eltern zu forschen.

Ich bin nicht sicher, wodurch meine psychischen Schäden (die ich ganz sicher habe) entstanden sind, durch die Ablehnung ("Abschiebung ins Heim") der leiblichen Mutter oder durch die unmenschliche Behandlung durch den Adoptivvater.

Ich weiß, dass diese Schilderung nicht besonders gut in die "heile" Welt der Adoptionsgeschichten passt, aber ich will damit darauf aufmerksam machen, welche Verantwortung darin liegt, Kinder in die Hände fremder Menschen zu geben.

Vielleicht kann ich durch diesen kurzen Bericht auch erreichen, dass sich die Mütter (und Väter), die ein Kind zur Adoption freigeben wollen, sich doch noch einmal Gedanken machen, ob sie nicht doch selbst für ihr Kind sorgen möchten.
Rudi

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