Gerhard´s Geschichte

Viele dieser Geschichten hier erinnern mich an mein eigenes Leben als Adoptivkind.

Es gibt so viele Schicksale. Und doch ist jedes irgend wie anders.

Hier ist meins. Geboren wurde ich 1961 in Freising.

Meines Wissens kam ich mit 10 Monaten zu meinen Adoptiveltern in ein Niederbayrisches Dorf. An die Kinderzeit an die ich mich noch erinnern kann, ist gezeichnet von Höhen und Tiefen. Aus materieller Sicht hatte ich (fast) alles was man sich als Kind wünschen kann. Meine Adoptiveltern (zu der Zeit waren es ja meine richtigen Eltern) erfüllten mir ziemlich jeden Wunsch. Sie waren nicht wohlhabend, aber trotzdem taten sie in dieser Hinsicht alles was im Rahmen ihrer Möglichkeiten war. Allerdings war da ein großer Altersunterschied. Der Vater, geb. 1914 und zudem blind. Die Mutter war Jahrgang 1918. Somit hätten sie eigentlich schon meine Großeltern sein können.

Und je älter ich wurde, desto mehr war eben dieser Generationskonflikt das Problem.

DIe Erziehung war wie, ich weiß nicht genau wie ich es beschreiben soll, als befinde ich mich unter einer rießigen Glocke. Eine Art "goldener Käfig". Ständig behütet und umsorgt das mir ja nichts passiert. Nicht in dem normalen Maß wie man als Vater oder Mutter vorgeht, sondern in einem extrem überzogenen Ausmaß.  Nicht der Freiraum den man für eine normale kindliche Entwicklung braucht. In den frühen Jahren genoss ich vielleicht diese Art. Mit zunehmenden Alter jedoch empfand ich es als einengend. In alle Details einzugehen wüde wohl den Rahmen dieser Plattform sprengen. Eines Tages kam der Tag der Wahrheit. Ich werde es nie vergessen. Ich war mittlerweile 12 und geriet mit meinem Freund und Nachbarn mal wieder wegen irgend einer Belanglosigkeit in Streit. So wie es bei Kindern halt üblich ist. Aber dieses mal warf er mir was an den Kopf, das mich zu tiefst erschütterte. "Was willst denn du. Du hast ja nicht mal richtige Eltern. Du bist ja adoptiert!" Ich verstand nicht was er sagte. So lief ich nach Hause um meine Eltern deswegen zu fragen. Und da erklärten sie mir, das ich adoptiert bin. Nun verstand ich auch den Satz in der Geburtsurkunde, die ich ein paar Jahre zuvor zufällig in die Hände bekam. Da stand :"An Kindesstatt angenommen".

Allerdings verstand ich die Welt um mich herum nicht mehr. Von diesem Tag an wurde mir ständig klar gemacht, welches Glück ich doch gehabt hätte. Wahrscheinlich wäre ich in einem Heim gelandet wenn sie mich nicht adoptiert hätten. Ich müsse dankbar sein. Schuldgefühle wurden mir in meinen kleinen Kopf implantiert. Wie es mir dabei ging interssierte keinen. Auf die Frage warum ich den zur Adoption gegeben wurde, sagte man mir, das meine Eltern krank wären und mich deswegen nicht großziehen konnten. So entstand ein Bild von meinen richtigen Eltern in meinem Kopf in dem ich sie mir als arme, kränkliche Menschen vorstellte.

Dieses Bild brannte sich irgendwie in meinem Kopf fest, und sollte mich noch viele Jahre begleiten. Ich war ihnen nicht böse weil sie mich "hergegeben" haben, denn ich verstand es nicht. Aber welcher 12jähriger würde das in dieser Situation verstehen? . Für die "Verwandschaft" war ich ein Fremder, der nicht hierher gehörte. Ich bin der, der ihnen das Erbe stiehlt. Raubritter waren die harmloseren Betitelungen. So zog ich mich mehr und mehr in mein Schneckenhaus zurück. Meine Leistungen in der Schule fielen ab. Und mit zunehmenden Alter lies ich immer weniger Vorschriften machen. Schlimm war die Zeit so mit 14 bis18. Man verpasste mir Beruhigungspillen. Drohungen das man mich in ein Internat stecken würde und ständiger Vorwurf wie undankbar ich doch wäre waren nur die harmlosen Sachen. Dabei wollte ich doch nur ein ganz normales Kind sein. Das auch mal auf die Nase fallen wollte um zu lernen wie sich das anfühlt. Einfach nur Erfahrungen sammeln. Ich durfte es nicht. Ich saß in meinem goldenen Käfig mit einem Gefühl von Dankbarkeit und Schuld. Es war fast schon eine Hörigkeit gegenüber meinen Adoptiveltern. Wenige Monate vor meinem 18ten Geburtstag standen plötzlich 3 fremde junge Männer in der Tür. Es waren meine Brüder von denen ich bis zu diesem Moment nichts wusste!! Sie suchten nach mir, um zu sehen ob es mir gut geht. Abermals brach mein Kartenhaus zusammen.

Ich war schockiert und erfreut gleichzeitig. Geschwister!! Etwas was ich bisher nicht kannte. Und im Verlauf des kurzen Besuches offenbarten sie mir noch eine Neuigkeit. Ich hatte auch noch eine Schwester. Sie war die jüngste von uns fünf, und an diesem Tag nicht dabei. Leider blieb es bei diesem einen Kontakt. Ich konnte nur soviel in Erfahrung bringen, das mein ältester Bruder meinen Adoptiveltern versprechen musste auf keinen Fall meine leiblichen Eltern hier her zu bringen. Vermutlich suchten sie keinen weiteren Kontakt, um mir Unanehmichkeiten zu ersparen. Die Jahre gingen ins Land. Mit 22 heiratete ich. Nur 1 1/2 Jahre später kam unser Sohn zur Welt. Ein weiters Jahr später errichteten wir einen Anbau an das bestehnde Haus. Wegziehen und richtig auf eigenen Beinen stehen, dazu war ich nicht in der Lage. Zu groß waren die Schuldgefühle gegenüber meiner Adoptiveltern. Ich war in mir selber gefangen. Ich "musste" doch für sie da sein . Sie haben doch so viel für mich getan. Als vier Jahre später mein Adoptivvater starb, war ich einerseits traurig, konnte aber trotzdem am Grab keine Träne weinen. Es war ein Zwiespalt, ein Kampf der Emotionen in mir, welchen ich noch viele Jahre führen sollte. Und wie jede Geschichte geht auch diese zu Ende. Allerdings nicht ohne ein Happyend. Die vergangenen Jahre wuchs in mir der Drang, mich auf die Suche nach meinen Wurzeln zu begeben.

Ich wollte meine richtigen Eltern und meine Geschwister in die Arme nehmen. Allerdings war da immer noch dieses Bild von ihnen in meinem Kopf. Ärmlich, gebrechlich. Würden sie mich überhaupt sehen wollen? Was ist wenn sie mich abweisen? Leben sie überhaupt noch? Meine Frau, die in all den Jahren zu mir gehalten hatte, bestärkte mich durch ihre Unterstützung. Sie glaubte nie dieser Vorstellung in meinem Kopf. Sie war es auch die die ersten telefonischen Kontakte aufnahm. Und wie hätte es besser passen können. Genau vor 4 Wochen, exakt zu unserem 25sten Hochzeitstag ging für mich ein langersehnter Traum in Erfüllung. Ich stand vor ihnen. Meine Eltern, und meine Schwester. Man kann dieses Gefühl nicht in Worte fassen. Alles war ganz anders als ich es mir vorgestellt hatte. Und doch war alles so vertraut.

Es kam mir vor, als wäre ich für mehrere Jahre mal nicht dagewesen, und nun bin ich wieder zurück. Seltsamerweise fühlte meine Frau das gleiche. Mein Vater sagte immer, das ich eines Tages in der Tür stehen werde. Und all die letzten Jahre, in denen mein Verlangen größer wurde sie zu sehen dachten auch meine Eltern mehr und mehr an mich und wie es mir gehen würde. Somit wird dieses Weihnachtsfest 2008 wohl eines der schönsten in meinem Leben. Nach den Feiertagen machen wir bei meiner Schwester ein großes Familientreffen und ich kann endlich alle meine Geschwister in die Arme nehmen. Sie wohnen ja nur ne knappe Autostunde entfernt.

Meine Geschichte liest sich vielleicht für den einen oder anderen wie eine "Abrechnung". Dem ist aber nicht so. Ich mache weder meinen leiblichen Eltern, noch meinen Adoptiveltern irgend einen Vorwurf. Sicherlich, manche Wunden in der Seele werden nie mehr heilen. Aber deswegen heute irgend jemanden dafür die Schuld geben? Was würde das ändern. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, und geschehenes lässt sich nicht ungeschehen machen. Ich bin froh und glücklich das endlich dieser Schmerz in meinem Herzen gelindert ist. Es wird noch etliche Zeit vergehen bis ich die jüngsten Ereignisse geordnet habe und in meinem Kopf wieder etwas Ruhe einkehrt. Abschließend möchte ich noch folgende Botschaften mit auf den Weg geben. Als erstes an alle Adoptiveltern: Bitte sagt es "euren Kindern" so früh wie möglich. Enthaltet ihnen nichts vor.

Vertrauen, das ist die Basis von allem. Kein Mensch kann in unsere Herzen hineinfühlen. Eine Adoption hinterlässt Wunden. Sie heilen zwar. Aber es bleiben immer Narben. Beim einem mehr. Beim anderen weniger. Allen Adoptierten rate ich: Sucht nach euren Wurzeln. Auch auf die Gefahr hin, das ihr abgewiesen werdet. Macht euren leiblichen Eltern nie einen Vorwurf das sie euch zur Adoption frei gegeben haben. Glaubt mir, sie hatten es genau so hart wie ihr. Wenn eure Adoptiveltern fürsorglich für euch da sind, dann vertraut ihnen. Sie sind das einzige was ihr momentan habt. Allen die Rat oder Hilfe zu dem Thema brauchen können mich per mail kontaktieren.

Dragrider01@yahoo.de

 

Ich bin kein Psychologe. Aber vielleicht kann ich dem ein oder anderen durch meine Erfahrung helfen, oder den ein oder anderen Tip bei der Suche geben. Ich wünsche euch allen ein so frohes Weihnachtsfest und ein glückliches Leben.

Liebe Grüße

Gerhard im Dez. 2008