Inas Geschichte

Wer bin ich?

 

Um anderen Adoptierten in dieser Situation ein wenig zu helfen und zu zeigen, dass sie nicht allein sind, schreibe ich meine Geschichte auf. Im Juni 1947 kam ich in Wilhelmshaven als Regina Irene Therese Scholz zur Welt. Meine Bauchmutter gab mich ein halbes Jahr nach meiner Geburt in ein Kinderheim. Warum, erst nach einem halben Jahr, diese Frage ist bis heute unbeantwortet geblieben.

Mit eindreiviertel Jahren wurde ich von meinen zukünftigen Adoptionseltern aus dem Kinderheim herausgeholt, nachdem ich schon einmal vermittelt wieder in das Heim zurückgekommen war. Sie gaben mir eine schöne Kindheit und viel Liebe. Mir fehlte es in all den Jahren, in denen ich bei Ihnen lebte, an nichts. Mit vier Jahren wurde ich von Ihnen adoptiert, gewusst habe ich bis zu meinem 19 Lebensjahr von der Adoption nichts.

Den ersten grossen Schock bekam ich, als mein A-Vater starb, ich war 13 Jahre alt und den Verlust habe ich nur schwer verwunden. Mein ganzes Leben war durchzogen von einer Verlustangst, gegen die ich nichts tun konnte. Noch heute steckt diese Angst tief in mir, nur jetzt weiss ich worin sie begründet ist, und kann mit der Angst umgehen. Es war so schlimm, dass ich mich bis zur Selbstaufgabe zurückgenommen habe, nur aus dem Grund, der andere soll mich liebhaben und nicht verlassen.

Erfahren, daß ich nicht das lbl. Kind meiner Eltern bin, habe ich 1966 als ich Heiraten wollte, damals aber noch nicht 21 Jahre alt war und somit die Unterschrift meiner Wahlmutter (Las sich so später im Stammbuch) brauchte. In mir brach damals die nach dem Tode meines Vater wiederaufgebaute heile Familienwelt wiederum zusammen, eine Weile habe ich schon gebraucht um zu begreifen, dass meine Eltern nicht meine richtigen Eltern waren. Einige Zeit dauerte es nach der Mitteilung noch, bis ich merkte, es hatte sich nichts verändert. Ich liebte meine Adoptiveltern weiter genau so, da gab es keinen Unterschied zu vorher. (Vor der Mitteilung). Sie waren einfach meine geliebten Eltern und würden es bleiben.

Mit einer Freundin begann ich, damals wohnte ich noch in meiner Heimatstadt, wo auch meine Bauchmutter leben sollte, von der ich nur den Namen wußte, zu suchen. Erst per Telefonbuch, wenn wir geglaubt hatten, etwas gefunden zu haben, hat meine Freundin gewartet, bis sie die Frau sah, oder sie hat unter einem Grund dort geklingelt um Frau zu sehen. Meine Wahlmutter hatte mir nur gesagt, sie sähe aus wie ich, nur älter, mehr wußte ich nicht. Meine Adoptivmutter sprach nicht gern mit mir über die Adoption, es war ein Tabuthema, sie fasste es als persönlichen Angriff auf, wenn ich von "der Geschichte", wie sie sagte, anfing zu sprechen.

Fortan vermied ich dieses Thema in ihrer Gegenwart, es war aber in mir und es machte mich sehr unruhig so gar nichts zu wissen. Die Adoptions Papiere hatte ich damals auch noch nicht, die hatte meine Adoptivmutter eingeschlossen, so daß ich gar nicht wußte, daß es diese Papiere gab. Meine Freundin und ich suchten und versuchten mehrere Jahre alles mögliche, aber alle unsere Versuche brachten uns nicht weiter.

Geschwister mütterlicherseits, muß ich auch haben (lt. meiner Adoptivmutter) wo von mir eine Schwester sehr ähnlich sehen muß so, dass ich selbst von Menschen mit denen ich tagtäglich beisammen war, mit ihr verwechselt wurde und in die unmöglichsten Situationen gebracht wurde.

Selbst nachdem ich schon Jahre im Rheinland lebte, und auf Besuch in Heimatstadt war, hörten die Verwechslungen nicht auf. Selber gesehen habe ich sie nie, obwohl ich natürlich sehr darauf achtete, ihren Namen habe ich natürlich auch nicht. 1992 konnte ich heimlich meiner Papiere habhaft werden, und kopieren, bevor ich sie wieder zurücklegte.

Damit ging ich zuerst zum Standesamt, mit der Frage ob ich noch eine Zwillingsschwester hätte und ob dort noch Informationen über meine lbl. Mutter existierten. Die Antwort, ich war allein geboren und außer dem Namen meiner lbl. Mutter und daß ich Ihren Mädchennamen nach der Geburt erhielt, brachte auch dieser Versuch nichts, denn beides wußte ich durch die Papiere.

Nun wendete ich mich an das Jungendamt, dort wurde in den alten Akten nachgesehen, ob dort möglicherweise Bilder ablagen, oder andere Informationen, als die, die ich schon hatte dort vorhanden waren. Außerdem wurde versucht meine lbl. Mutter zu finden. Auch dieser Versuch verlief ergebnislos.

Es gab weder noch gab eine Eintragung wo Sie wohnt, noch gab es eine Eintragung, daß sie verstorben wäre. Mein nächster Versuche etwas zu finden galt meinem lbl. Vater, hier schrieb ich das Jugendamt seiner Heimatstadt an, welches mir leider mitteilte, daß er verstorben ist. Da war mir also auch dieser Weg verschlossen.

Trotz alledem lies und lässt es mir aber keine Ruhe, ich würde wenigsten gern erfahren,

Über das Standesamt und Jugendamt habe ich nichts neues mehr erfahren. Auf eine Anzeige in der Tageszeitung meines Geburtsortes, meldete sich eine Kinderschwester des Heimes in deren Gruppe ich war. Aber nach den vielen Jahren, die inzwischen verstrichen sind konnte sie sich leider auch an nichts mehr erinnern.

Im Juni 2000 schenkte der Mann meiner Freundin mir eine Telefon CD, diese legte ich erst einmal zur Seite. Irgendwann im Juli fiel sie mir wieder in die Hände. Nun suchte ich geziehlt nach dem Nachnamen meines Herkunftvaters, da ich seinen letzten Wohnort wusste.

Hier fand ich zwei Einträge, damit machte ich mich dran und vefasste einen Brief, der zwar Daten enthielt aber nur die Verwandten konnten sie erkennen, auch ein kleines Bild von mir fügte ich in den Brief ein.

Es können wohl nur Adoptierte erfassen, welche Gedanken und welche Not, Hoffnungen und Panik ich dabei hatte. Mein Herz raste beim Schreiben, ich fühlte mich schlecht, als täte ich etwas verbotenes, tausend Gedanken rasten mir durch den Kopf. Zum Einen wollte ich keine Familien zerstören, durch mein plötzliches "da sein", zum Anderen fragte ich mich ständig: ist es auch richtig, was Du da tust. Zum Dritten hatte ich ein schlechtes Gewissen, meinen inzwischen beide verstorbenen, Adoptiveltern gegenüber. Wäre Mami und Papi das recht, wenn ich die Briefe abschicke? Was wüden sie dazu sagen. Ich hatte das strafende Gesicht meiner A-Mutter vor Augen, sie schien mir zu sagen: "Du bist wieder bei diesem Thema?? Pfui.", und das obwohl sie schon seit sechs Jahren nicht mehr lebt. Eine Antwort auf meine Fragen fand ich nicht und mein Gewissen gab auch keine Ruhe, so trug ich die Briefe Tage lang mit mir herum.

Eines Tages, am 11. Juli hatte ich sie wieder in der Hand, unten im Haus traf ich auf meinen Mann. Auf seine Frage : "Was hast Du denn da", sagte ich ihm um was es sich handelte. Er kannte aus Gesprächen meine Zweifel und meine Zögerlichkeit in dieser Sache. So nahm er mir die Briefe aus der Hand und ehe ich mich versah, hatte er sie in den Briefkasten geworfen. Nun ging das Karusell in mir erst richtig los.

Alle meine Gefühle, Zweifel, Konflikte und Hoffnungen wallten auf. Nächtelang habe ich nicht geschlafen und wenn, dann hatte ich richtige Alpträume, rund um die Adoption, so dass ständig sschweissgebadet aufwachte. Die Frage war das nun auch wirklich richtig war, stand ständig im Vordergrund. Freitags Abends am 14. Juli klingelte das Telefon. Mein Sohn hob ab, dann gab er mir den Hörer, es wäre für mich. "Wer", " Weiss ich nicht, habe ich nicht verstanden", entgegnete er während er mir den Hörer übergab.

Ich meldete mich mit meinen Nachnamen, eine mir fremde Stimme fragte ob ich Regina sei. Als ich bejahte, nannte die Frau Ihren Nachnamen. Mir schoss das Blut durch den Körper, ich hatte das Gefühl mein Herz bleibt stehen, im ersten Augenblickt dachte ich, ich falle vom Stuhl. Einen Moment lang war ich sprachlos, dann hörte ich zum ersten mal in meinem Leben die Stimme meines Halbruders, der inzwischen am anderen Ende der Leitung war.

Es wurde ein langes Gespräch mit vielen, vielen Pausen. Wir beide mussten uns erst an diese Sitation gewöhnen. Ich erfuhr, dass er mich nach der Öffnung der Grenze auch schon gesucht, aber keine Auskunft bekommen hatte, da die Adoption anonym war. Sein Vater, mein H-Vater, also unser Vater hatte mich von Anfang an nicht verschwiegen. Er hat auch mehrere Male versucht mich zu sich zu holen, was aber daran scheiterte, das ich die ersten 4 Jahre von meiner Bauchmutter nicht freigegeben war und als ich dann freigegeben wurde, schon einige Jahre bei meinen zukünftigen Adoptionseltern lebte. "Zum Wohl des Kindes " hat man mich dann auch dort gelassen, was für mich auch in Ordnung ist.

Mein Halbbruder hat mir inzwischen Bilder geschickt, so habe ich einen ersten Eindruck von meinem lbl. Vater und Brüdern. Ich habe meinen rechten "Fuss" gefunden. Jetzt bin ich schon etwas ruhiger. Inzwischen habe ich meinen Bruder besucht. Die Fahrt im Auto war noch mal Chaotisch, von meinen Gedanken her. Wie wird es sein, werde ich Familienähnlichkeiten finden? ....... Das Karusell drehte sich wieder ganz schnell. Ich war froh, dass ich mich auf den Verkehr konzentrieren musste, sonst wäre es wohl noch schlimmer geworden. Am Haus meines Halbbruders angekommen, parkte ich mein Fahrzeug, holte dreimal tief Luft und gab mir den Befehl,"Los jetzt, bis hier bist Du, nun wirst Du auch die letzten Schritte gehen."

So stieg ich aus und klingelte, schneller als erwartet ging die Tür auf. Zuerst sah ich meine Schwägerin, dann kam auch mein Bruder zur Tür. Wir starrten uns an, es kam mir wie eine Ewigkeit vor, es waren wohl nur Sekunden. Dann begrüssten wir uns förmlich, während ich hereingebeten wurde. Schon kurz später beim Kaffetrinken war es, als wäre ich zum wiederholten Male gerade mal zu Besuch gekommen. Es war nichts Fremdes da, ich war irgendwie zu Hause. Meinem Bruder ging es ebenso, auch ihm war es als kannten wir schon von Anfang an.

In diesen drei Tagen in denen ich als Fremde dort ankam, habe ich meine Tante kennen gelernt und habe so viel von meiner Geschichte, ja, sogar von meiner Entstehung gehört, habe einen so liebevolle Aufnahme erfahren dürfen, dass ich als Schwester und der Familie zugehörig wieder abfuhr.

In meinem Bruder habe ich viele Familienmerkmale, wie Verhaltensweisen, typische Bewegungen, und Ähnlichkeiten im Aussehen, gefunden, die mir in all' den Jahren vorher gefehlt hatten. Ein grosses Stück meiner Identität, meines Ich's, habe ich nun gefunden. Im nach hinein bin ich froh, dass ich diesen Schritt gewagt habe.

Mir ist bewusst, welches grosse Glück ich gehabt habe, das mein Bruder den Kontakt zu mir wollte und wir uns auch noch auf Anhieb ohne viele Worte verstanden. Am Anfang hatten wir leichte Missverständnisse, wenn es um die Eltern ging. Seine Mutter ist nicht meine Bauchmutter, dann gab es meine Adoptiveltern und unseren Vater. Schnell fanden wir eine Lösung, es wurden die Vornamen der Eltern benutzt, so wusste jeder von uns beiden, wer von den Elterntteilen nun gerade im Gespräch gemeint war.

Jetzt im April 2001 werden meine Schwägerin und mein Bruder mich besuchen, ich freue mich schon sehr. Wir müssen beide noch viel aufarbeiten, denn die drei Tage, in denen ich dort war, genügen nicht um ein ganzes Leben des anderen kennen zu lernen, aber der Anfang ist gemacht.

Meine Bauchmutter suche ich immer noch, hier gibt es noch keine Spur. Erschwerend kommt hinzu, ich weiss nicht wo und wann sie geboren ist, sie müsste heute ca. 70 Jahre alt sein. Von meinem Bruder habe ich ein Bild von ihr bekommen, welches er für mich aufbewahrt hat, obwohl er nicht wusste, dass wir uns einmal treffen würden.

Inzwischen geht es mir schon viel besser, durch das Auffinden meines Bruders bin ich schon sehr viel ruhiger in meinem Inneren geworden. Trotzdem würde ich aber auch gern meine Bauchmutter und die Geschwister dieser Seite noch kennenlernen. Wer weiss, vielleicht gelingt es mir eines Tages, auch sie noch zu finden.

Ina

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