Beatas Geschichte

Ich bin jetzt 35,5 Jahre alt und bin mein ganzes Leben lang von meiner Mutter ferngehalten worden.

Meine Eltern waren bei meiner Geburt beide noch sehr jung, sie 17, er 19 Jahre und nicht verheiratet. Ich war der typische Verkehrsunfall und zunächst versuchte mein Vater, meine Existenz vor seinen Eltern geheimzuhalten. Die bekamen es aber, möglicherweise über den "kleinen Dienstweg", (mein Großvater war heimleiter in einem Heim, doch heraus. Sie besuchten meine Mutter, mich und ihre Mutter und beschlossen: "hier kann das Kind nicht bleiben". Einziger Anhaltspunkt war, daß das Haus sehr klein und bescheiden war und daß meine Mutter noch zu jung war. Sie zogen meine Mutter mehr oder weniger über den Tisch, meinten, sie lüden sie und mich zum Campingplatz ein zum Urlaubmachen. Meine Mutter nahm die Einladung an und von da an gaben sie mich ihr nicht mehr heraus. Sie behaupteten, meine Mutter hätte mich ja bei ihnen abgeliefert und nicht mehr um mich gekümmert. Meine Mutter war mit der Situation total überforderet und wußte sich nicht durchzusetzten. Von da an entfremdetetn meine Großeltern meine mutter und mich systematisch. Sie ließen sich von mir damals Mama und Papa nennen und immer wenn meine Mutter mich besuchen wollte und sagte, nein, sie sei die Mama, brach ich natürlich in Tränen aus und lief zur Oma. Das nahmen meine Großeltern als weiterers Argument, von wegen, das Kind will ja nicht zur Mutter. Meine Mutter durfte mich auch nie lange besuchen, höchstens eine halbe Stunde. Nach dem Umzug in ein anderes Haus wurde sie gar nicht mehr zu mir gelassen. Ich selbst wurde sehr kurz gehalten: für mich war alles zu teuer, ich bekam überwiegend gebrauchte Sachen, die nichts kosten durften. Ebenso wurde ich in meiner ganzen Kindheit nicht einmal bei meinem Namen genannt. Das führte dazu, daß ich nicht nur nichts von meiner Mutter wußte, sondern nicht mal wußte, wer ich eigentlich bin. Denn ich hatte ja nicht mal einen eigenen Namen. Immer wurde ich bei einem anderen Namen gerufen, zu Hause, in der Schule riefen sie dann meinen richtigen Namen, der mir fremd und häßlich vorkam. Meine Oma wollte nicht, daß ich Freundinnen mit nach Hause brachte, ich hatte dann auch keine mehr. Ich durfte nicht in einen Sportverein, und auch kein Instrument lernen, da dies alles zu teuer sei. Taschengeld bekam ich auch keines und die Kleider suchte meine Oma für mich aus. Ich wurde ein Jahr später als normal eingeschult, nicht etwa, weil ich nicht so weit gewesen wäre, sondern, weil die Adoption noch über den Tisch gehen mußte. Ich sollte, "wegen der Leute" den gleichen Namen wie Oma und Opa un der Vater haben. Mein Vater kümmerte sich, solange der Opa noch lebte, kein stück um mich. Trotzdem hieß es im Adoptionsverfahren, das Kind sei schon längst in den elterlichen Haushalt übergegangen (mein Vater heiratete zu dieser Zeit eine Frau, die 14 Jahre älter als ich und alkohol- und tablettensüchtig war). Das Jugendamt fiel auf diesen Kuhhandel herein, schließlich hatte unsere Familie ja einen guten Namen. Meine Mutter bekam eine Vorladung zu einem Anwalt, wo sie die Papiere unterschreiben mußte. Sie hatte niemanden, der sie in ihrer Lage unterstützte.

Erst, als mein Opa tot war, sollte ich nun zum Vater und seiner frau ziehen. Er wollte mich dazu zwingen, zu ihm zu kommen. Da aber Angst da einzige Gefühl war, was ich mit ihm verband, weigerte ich mich strikt, zu ihm zu kommen. Er schlug mich dauernd grün und blau, ohne Grund und die einzige Kommunikation mit mir war Geschrei. Es ging bei ihm zu wie auf dem Kasernenhof. Meine Oma, die mich ja selbst oft verprügelte, ging vor Gericht und ließ ihm das Sorgerecht entziehen. Selbst da wurde das Jugendamt, das die Vormundschaft hatte, nicht wach und unternahm nichts, um die Adoption rückgängig zu machen. Bei meiner Oma ging es auch nicht mehr lange gut, das Klima wurde immer frostiger und ablehnender. es gab nur noch Streit, von Anerkennung und Zuneigung keine Spur. Selbst, als ich sexuell mißbraucht wurde, kehrte sie alles unter den Teppich und ich durfte nicht darüber sprechen. Als ich die ganze Situation nicht mehr aushielt, haute ich ab und bat das Jugendamt um Hilfe. Ich kam zunächst bei einer Pflegefamilie unter, die sich aber nur an mir bereichern wollten und dann, als ich dort abhaute, wunschgemäß in ein Heim. Dort verbrachte ich noch drei schöne Jahre, bis zur Volljährigkeit. Mein Vater ließ sich in der Zwischenzeit wieder scheiden und seine Frau gab sich beim Sozialamt als meine Mutter aus, was dazu führte, daß ich zur Kasse gebeten wurde. Ich konnte das aber gerichtlich abwehren. Der Kontakt zur Oma wurde in dieser Zeit wieder regelmäßiger. Fragen nach meiner Mutter weigert sie sich bis heute zu beantworten. Sie wird wohl ihre Sünden mit ins Grab nehmen, aber niemals ihre Schuld zugeben. Selbst, als ich krank wurde und operiert werden mußte, bekam ich weder von Oma noch von meinem Vater Fragen zu familiären Krankheiten beantwortet. Es interessiert sie einfach nicht. Auch wenn ich diese Auskünfte für die Behandlung brauche, sie sagen mir nichts, weil sie Angst haben, dadurch käme ein Kontakt zustande und der würde ihr ganzes Gebäude zusammenbrechen lassen.

Vor ca. einem halben Jahr habe ich nun aber doch Kontakt zu meiner Mutter aufgenommen, ich kam durch Zufall an ihre Adresse. Sie war sofort bereit, mir das Arztformular auszufüllen und stand mir Rede und Antwort. Das Verhältnis ist sehr herzlich und ich bin immer bei ihr und ihrem Mann willkommen. Sie hat die ganzen Jahre oft an mich denken müssen und sich in den Schlaf geweint, sich aber nie getraut, sich bei mir zu melden, aus Angst vor meiner Reaktion, denn sie weiß, was für Geschichten wohl über sie erzählt worden sein müssen. Sie sagt, ein Mutter-Tochter-Verhältnis würde zwischen uns wohl nie entstehen, aber wir könnten sehr gute Freundinnen werden. Für mehr ist zu viel zeit vergangen und zu viel zerstört worden. Das meine ich auch. Ich könnte auch nicht zu ihr Mama sagen, da mit diesem Wort für mich ein kindliches Urvertrauen verbunden ist. Die Frau, die sich Mama von mir nennen ließ, hat dieses Vertrauen ein für alle Mal zerstört. Meine Mutter und ich wollen ein gutes Verhältnis zueinander aufbeuen. Wir telefonieren mehrmals die Woche und ich fahre so oft wie möglich zu ihr, sie zu besuchen.

Ich weiß, daß es nicht selbstverständlich ist, daß nach fast 35 Jahren so ein Kontakt zustande kommt. Deshalb will ich diesen schatz hüten, daß er nicht zerbricht. Meine Ziehfamilie, die mir soviel angetan hat, aber nicht darüber sprechen will, darf nichts davon erfahren. Auch meine Mutter hat versprochen, Stillschweigen zu bewahren. Es bringt für alle Beteiligten nichts, Streit vom Zaun zu brechen. Wenn der Zufall es will, kommt es raus, möglichwerweise werden wir mal zusammen gesehen oder so. Doch von uns erfahren sie nichts. Ich kann aber an dieser Stelle keine Empfehlung abgeben, nach so langer Zeit unbedingt noch nach der Mutter zu suchen. Es hätte auch anders kommen können. Es gibt auch Mütter, die damit abgeschlossen haben und nichts mehr von ihren Kindern wissen wollen. Die Entscheidung, es zu tun oder zu lassen, muß jeder für sich alleine treffen

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