Iris' Geschichte

Das Glück und Leid eines Adoptionskindes

 

Am 31.03.1964 erblickte ich als 2tes Kind der Eheleute F. Twilfer das Licht der Welt in der kleinen nordrheinwestfälischen Gemeinde Goxel. Wie meine genaue Entwicklung verlief weiß ich nicht mehr genau, aber hier und da sind doch Erinnerungen geblieben. Meine Kindheit war bestimmt in dieser Zeit nicht weniger glücklich oder unglücklich als die von anderen Kindern in meinem Alter. Allerdings war meine leibliche Mutter wohl nicht so ganz zufrieden in ihrer Rolle als Ehefrau, Mutter und Hausfrau. Ich kann mir sehr gut daran erinnern, daß sie meine ätere Schwester und mich sehr oft allein ließ, während unser Vater arbeiten ging. So kam es dann auch, daß ich eines schönen Tages, ich muß ca. 2 Jahre alt gewesen sein, allein zuhause war (meine 3 Jahre ältere Schwester war mit ihrer Freundin spielen) und ich mich dann einer Flache mit Flüssigputzmittel vergriff. Ich hatte dieses wahnsinns leckere mGesöff zur Hälfte auf, als mein Vater heimkam. Er brachte mich sofort ins Krankenhaus, wo ich einge Tage bleiben musste. Als ich dann wieder heim durfte nahm mich mein Vater mit auf seine Taxifahrten (er war Taxifahrer - hättest Du jetzt nicht gedacht was?), da ich alle 2 Stunden ein Medikament brauchte, damit meine Speiseröhre nicht zusammenklebte.

Zu dieser Zeit muss meine jüngere Schwester Anja das Licht der Welt erblickt haben und somit war meine Mutter noch mehr gefordert und wahrscheinlich überfordert. Ich kann mich daran erinnern, dass sich meine leiblichen Eltern sehr oft lautstark gestritten haben, da mein Vater es nicht verstehen konnte, wieso meine Mutter uns so oft unbeaufsichtigt lies. Meine kleine Schwester muss ungefähr 3 Wochen zuhause gewesen sein, als unsere Mutter wieder einmal nicht da war. Anja weinte in ihrem Bettchen und ich hatte grosses Mitleid mit ihr. Ich habe mir also einen Stuhl oder Hocker an ihr Bettchen gezogen und sie aus ihrem Bett herausgehoben. Dabei habe ich sie dann fallen lassen - daran liegt jetzt wohl ihre geminderte Intelligenz (behauptet sie aufjedenfall heutzutage). Für dieses Verbrechen bin ich von meiner Mutter ziemlich verprügelt worden. Danach habe ich soetwas nie wieder versucht. Als ich 5 Jahre alt war war meine Mutter abermals schwanger. Als sie ins Krankenhaus zur Geburt musste habe ich das Letztemal gesehen. Meine Mutter starb im Wochenbett - sie wurde mit Gelbsucht infiziert während der Geburt und dann stellte man obendrein noch fest, dass eine Niere gar nicht mehr funktionierte und die andere nur noch sehr wenig aktiv war. Mein armer Vater stand da mit 4 kleinen Kindern - was tun? Schweren Herzens gab mein Vater uns in Pflegefamilien - er selbst war im Heim aufgewachsen und hatte sich geschworen, dass er das seinen Kindern niemals antun würde.

Ich kam zuerst zu meinen Grosseltern mütterlicherseits, bis eine passende Pflegefamilie für mich gefunden werden konnte. In dieser Zeit habe ich eine sehr schlimme Zeit durchgemacht. Mein Grossvater war ein wahrer Sadist. Er steckte mich immer in den Keller, löschte das Licht und sagte dann: "Jetzt kommen die Ratten und fressen Dich." Ich bin ein sehr tierliebender Mensch und kann eigentlich keiner Fliege etwas zu leide tun - aber eine Ratte würde ich ohne mit der Wimper zu zucken erschlagen - ich habe eine wahnsinnige Angst vor Ratten. Nach einigen Wochen kam ich dann zu einer netten Pflegefamilie, die auch meinen Vater persönlich kannten. Das Ehepaar hatte bereits erwachsene Kinder und ich wurde wie das Nesthäkchen behandelt. Ich fühlte mich sofort sehr wohl dort und vergass schnell die schlimme Zeit bei meinen Grosseltern. Dann, ich war ein Jahr bei diesen Pflegeeltern wurde mir eines Abend - sehr schonend - mitgeteilt, dass die neue Mama Krebs hätte und unbedingt ins Krankenhaus müsse. Ich würrde während dieser Zeit zu meiner jüngeren Schwester kommen und wenn meine neue Mama dann wieder gesund wäre dürfte ich zurückkommen. Wahrscheinlich habe ich zuerst einmal ein bisschen geweint - ich kann mich nicht an meine Reaktion erinnern. Aufjedenfall kam ich dann zu den Pflegeeltern meiner jüngeren Schwester und es war eine Art nachhausekommen. Natürlich war es das nicht, denn das war ihr zuhause und nicht das meinige. Es waren ihre Eltern und nicht die meinen. Anja liess mich sehr deutlich spüren, dass ich unerwünscht war und doch wollte ich so gerne bleiben, denn immerhin lebte meine aeltere Schwester nur zwei Häuser weiter bei einer Pflegefamilie und ich wollte einen Teil meiner Familie um mich haben. So kam es, dass ich mich weigerte wieder zu meinen eigenen Pflegeeltern zurückzukehren und lieber in einer Umgebung blieb, in der mich keiner wirklich wollte.

Von da ab wurde es eigentlich nur immer schlimmer statt besser. Die Pflegemutter meiner Schwester - somit ab da ja auch meine Pflegemutter - fing an mich zu prügeln. Egal was passierte, ich bekam Prügel und wenn es einfach nur war, dass es draussen regnete statt Sonnenschein.

Sie brach mir die Nase, indem sie meinen Kopf mit voller Wucht auf die Tischplatte knallte, während ich Hausaufgaben machte und eine Rechenaufgabe nicht lesen konnte. Sie prügelte Holzrührlöffel auf mir entzwei - und ich blieb einfach stumm. Ich wollte dort bleiben und nicht wieder weg müssen. Der einzige Mensch, der mich etwas liebte war mein Pflegevater. Er war es dann auch, der dem Jugendamt bescheid gab, dass seine Frau mich fast zu Tode prügelte und sie mich doch bitte bitte zu anderen Leuten vermitteln sollten. Das war nachdem meine kleine Schwester adoptiert wurde - sie hat mich damit immer verletzt: "Ich bin adoptiert und Du nicht. ich gehöre hierher und Du nicht."
Ich habe ihr immer wieder verziehen und ich bin ihr auch heute nicht böse dafür. Eines Tages kam die Sozialarbeiterin zu besuch und in ihrer Begleitung eine Frau. Nach einiger Zeit fragte mich diese fremde Frau: "Iris kommst Du mit mir mit?" Ich habe nur genickt und bin mit ihr mitgegangen, ohne mich umzublicken. Von dem Tag bin ich aus der Hölle in den Himmel gekommen und ich liebe und verehre meine Adoptivmutter wie niemanden sonst auf der Welt. Zuerst war sie mir natürlich noch fremd und ich scheute davon zurück zu ihr Mama zu sagen. Sie hatte damit gar keine Probleme: "Nenn mich einfach Tante Mia." So kam es, dass ich meine Mutter, die nur zu Besuch in Deutschland war, genau wie meine heutigen Cousinen und Cousins nannte.

Drei Wochen lang blieb ich mit meiner Mutter bei ihrer Mutter/meiner Oma. Dann fuhren wir zusammen in die Niederlande, wo ich meine andere Oma, väterlicherseits, kennenlernte. Sie war eine etwas reservierte alte Dame, die ich jedoch sehr bald um meinen Finger gewickelt hatte. Ich bekam alles von ihr - meine holländischen Cousinen und Cousins waren immer neidisch auf unsere Beziehung. Nachdem mich meine ganze Verwandschaft dann kannte flog meine Mutter mit mir nach Nigeria/Afrika. Mein Vater war dort als Auslandsdirektor einer grossen holländischen Handelsgesellschaft tätig. Ich trug meinen super tollen neuen knallroten Hosenanzug (in Europa war es Winter) und dazu einen ganz neuen Mantel. Ich war so stolz auf diesen blöden Hosenanzug. Kurz vor der Landung wollte meine Mutter mich in Sommerkleider stecken, doch das wollte ich nicht - ich wollte meinen Hosenanzug anbehalten. Mein neuer Vater sollte doch sehen, wie super ich aussah in diesem Teil. Meine Mutter hat wirklich mit Engelszungen auf mich eingeredet, doch ich wollte nicht. Also gab sie nach und wir stiegen in Nigeria aus dem Flugzeug. Es dauerte nicht lange und ich fing an zu jammern, dass mir viel zu heiss sei und ich lieber etwas anderes anziehen wollte. Doch ich musste warten, bis wir in der Ankunftshalle waren.

Dort wurden wir bereits sehnsüchtig von meinem neuen Vater und einem nigerianischen Chief (Häuptling) erwartet. Ich war eigentlich viel mehr von diesem schwarzen Riesen angetan als von meinem Vater. Meine Mutter hatte mir in Deutschland noch eine kleine Puppe (eine Inderin) geschenkt und die hielt ich diesem Nigerianer sofort unter die Nase und sagte : "Schau mal das ist auch ein Neger." Wahrscheinlich habe ich ihn sofort damals beleidigt - Neger und Nigger hören sich verdammt ähnlich. Aber dieser Satz hat seiner Zuneigung zu mir keinen Abbruch getan, wie sich im Laufe der späteren Jahre immer wieder herausstellte. Mein Vater war ein sehr ruhiger und bescheidener Mann, der mich einfach erst einmal ganz in ruhe liess und mir Zeit gab mich einzugewöhnen. Als wir endlich in meinem neuen Zuhause eintraffen wartete eine weitere Überraschung auf mich. Meine neuen Eltern hatten einen Hund, mit dem ich natürlich sofort toben musste. Meine Mutter erzählt mir heute, dass sie damals meinen Vater auf holländich fragte : "Wie findest Du sie?" und er antwortete: "Über alle Erwartungen." Dieser Auffassung war er bis zu seinem Tod am 09.09.1992.

Wie gesagt ab dieser Zeit habe ich den Himmel erobert und ich bin heute der festen Überzeugung, dass ich bei meinen eigenen Eltern niemals zu dem ausgeglichenen und zufriedenen Menschen geworden wäre, der ich heute bin. Meine Eltern haben mich niemals davon abgehalten meinen leiblichen Vater zu sehen, oder meine Geschwister zu besuchen. Dieses Bedürfnis ist bei mir irgendwann eingeschlafen. Ich kenne meine Wurzeln und brauche sie nicht mehr zu sehen, sie können im Boden bleiben und dort in der Obhut meiner Erinnerung weiterleben. Ich habe einen Ableger gebildet und diese Wurzeln sind stark und kräftig geworden. Mein leiblicher Vater starb ca. 1985. Zu meinem Bruder und meiner ältesten Schwester habe ich gar keinen Kontakt mehr und wünsche ihn auch nicht. Sie haben sich so anders entwickelt als ich, dass es keine gemeinsamen Interessen oder Berührungspunkte gibt. Meine jüngere Schwester wohnt nur ein paar Minuten von mir entfernt, doch auch sie habe ich bereits seit 1 Jahr nicht mehr gesehen - ich brauche meine Herkunftsfamilie nicht, denn ich habe eine besser Familie gefunden. Inzwischen bin ich verheiratet und mein Mann und ich haben seit 13 Jahren vergeblich versucht ein leibliches Kind zu zeugen. Da dies wohl nicht mehr eintreten wird haben wir nun einen Adoptionsantrag gestellt und wir hoffen, dass wir bald einem kleinen Wesen ein so schönes Leben bieten können, wie ich es hatte. Mein Mann kennt meine Geschichte und steht einer Adoption eines misshandelten Kindes sehr positiv gegenüber.

Iris

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